Normalerweise gehe ich nicht vor 23 Uhr
ins Bett. Am Abend des 29. April 2020 überkam
mich ein angenehmes Gefühl von Müdigkeit, das mich schon um 20 Uhr
in mein blumengemustertes und mit Kissen versehenes Nachtversteck
trug.
Nach einer kurzen Zeit mit dem Blick auf mein aktuelles Buch über
den Einfluss des Mondes auf den Menstruationszyklus der Frau bemerkte
ich etwas für mich ganz Außergewöhnliches. Ich legte das Buch zur
Seite, um am Schrank einen Schal in meiner Lieblingsfarbe Bordeaux zu
betrachten. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte sich mein ganzer
Körper entspannt an, mein Bauch war zufrieden, meine Beine
verspürten keinen Drang zur Bewegung, mein Kopf war leer. Es zählte
nur die wunderschöne Farbe des Schals und der absolute Frieden in
meiner Seele. Und so schlief ich in meinem bequemen Bett ein.
Kurz vor Mitternacht
wachte ich mit dem gleichen Wohlgefühl auf, mit dem ich meinen
Schlaf begonnen hatte, und ging hinüber ins Wohnzimmer, um meinem
noch wachen Freund einen Kuss zu geben. In diesem Moment dachte ich
ungewöhnlicherweise mal nicht daran, auf meinen Schreibtisch zu
schauen, wo mein Bildschirm die Liveübertragung meiner trächtigen
Lieblingsstute Taiga in ihrer Box zeigte. Wir hatten die Kamera vor
Wochen schon montiert. Die ersten Minuten des 30. April 2020 sollten
mit den folgenden Worten mein Leben verändern: „Taiga bewegt sich
ziemlich viel“, sagte Emilio – der Bruder meines Freundes Andrea.
Ich schaute auf die Kameraübertragung und sah ein Pferd, das etwas
aufgewühlt im Kreis lief und sich ein bequemes Plätzchen zu suchen
schien. Die Stute kratze einige Male im weichen Stroh und legte sich
dann nieder. In diesem Moment wusste ich, dass es bald so weit sein
könnte. Bald würde vielleicht eine kleine Pferdeseele das Licht des
Lebens erblicken. Vielleicht, weil mich ein Jahr zuvor ein tragisches
Schicksal dazu gebracht hatte, beim Gedanken an die Geburt eines
Fohlens nichts anderes als Angst zu verspüren. Im April 2019 musste
ich das Neugebohrene unserer Stute Shiva tot in der Box auffinden.
Die Mutter versuchte ihr Baby wieder lebendig zu lecken. Vielleicht
würde es ja wieder aufwachen. Der Anblick zerbrach mein Herz und
lange wollte ich nicht glauben, dass ich eines Tages ein lebendiges
und gesundes Fohlen in meinen Armen halten würde.
Nun lag meine Taiga in
ihrer riesigen und weich ausgelegten Box. Ich hatte mich auf die
nächste Couch gelegt und den Bildschirm zu mir gedreht, sodass ich
die Stute bei jeder Bewegung inklusive Beep-Ton beobachten konnte.
Plötzlich drehte sich das große braune Pferd auf die Seite und
streckte all ihre Beine von ihrem Körper weg. Mein Herz wollte aus
meiner Brust herausspringen, denn ich wusste, dass diese Stellung ein
Zeichen für Wehen und Pressen war. Da ich in diesem Moment noch
nicht für eine kurze Autofahrt zum Stall gekleidet war, rannte ich
schnell zu meinem Schrank, um mir entsprechende Klamotten zu holen.
Als ich zurückkam und auf den Bildschirm sah, blieb mir nichts
anderes als in Tränen auszubrechen. Zwei kleine funkelnde Augen, ein
kleines Näschen und ein Paar wackelnder Ohren sprangen mir in den
Blick. Hinter meiner Stute Taiga lag eine lebendige kleine Kreatur,
die mein Leben verändern sollte. Nach einem kurzen Freudenschrei
kamen auch Andrea und Emilio in den Raum und bestaunten das Fohlen
neben Taiga in der Box Ich zog mir recht hastig meine Kleidung an, um
so schnell wie möglich in den Stall fahren zu können. Die Fahrt war
sehr nervenerregend, dunkel und voller riesiger Wildschweine am
Straßenrand. Ich konzentrierte mich nur darauf, weiterhin zu atmen,
um entspannt auf Taiga und das Fohlen zu treffen. Mein Herz pochte
wie verrückt. Ich konnte kaum fassen, welches Wunder ich mitbekommen
hatte und dass ich diesen Moment miterleben durfte. Als ich nach
zirka fünf Minuten am Stall ankam, atmete ich nochmals tief ein und
ging dann in die Box zu meiner Stute. Auf dem Boden lag sie und das
wohl schönste neugeborene Geschöpf, das ich je zuvor gesehen hatte.
Mein kleines Fohlen atmete, wackelte mit den Ohren, versuchte zu
kauen – es war alles in Ordnung. Und ich – mich überkam es
wieder. Ich weinte in meine Hände hinein und konnte endlich sagen,
dass es Mutter und Kind gut ging. Ich war überglücklich.